4/30/2007

Ein Nachmittag in Utopia

Willkommen geneigte Leserinnen und Leser. Heut wollen wir uns gemeinsam auf eine ungewöhnliche Reise begeben. Es geht nach Utopia. Wo dieses Utopia genau liegt? In unseren Köpfen, unseren Herzen. Die Welt wie sie sein könnte, und vielleicht auch sollte. Wo nicht alles anders, aber das Meiste ein bisschen besser ist.

Los geht die Reise. Die Augen zu. Die Geräusche um uns vergessen. All die kleinen Sorgen des Alltags bleiben zurück. Wir gehen durch das Dunkel. Zeit und Raum spielen keine Rolle. Und stehen auf einmal in Utopia. Der Himmel ist blau. Die Sonne strahlt. Das ist keine Vorraussetzung, und auch nicht jeden Tag so. Schließlich spielt das Wetter eine entscheidende Rolle für unsere Existenz. Und zur Zeit merken wir schon wieder, was so alles passieren kann, wenn der Regen ausbleibt. Aber für unseren ersten Eindruck von Utopia ist ein wenig Sonnenschein einfach netter.

Einmal schnuppern. Die Luft ist angenehm frisch, obwohl wir uns offensichtlich in einer größeren Stadt befinden. Auf der Straße vor uns herrscht reger Verkehr. Autos in allen Größen, Formen und Farben. Sie surren leise vorbei, hinterlassen keine Wolke giftiger Abgase. Wasserstoff? Elektro? Hybrid? Oder etwas noch ganz anderes? Gar nicht wichtig, hauptsache kein guter alter Verbrennungsmotor. Ampeln suchen wir vergeblich. Große Kreisverkehre und geschwungene Fußgängerbrücken beherrschen das Straßenbild. Auch die Verkehrsschilder sind nicht zu sehen, dafür jede Menge Bäume. Von der Straße abgeschirmt durch elastische Abweiser.

Ansonsten sieht Utopia nicht viel anders aus als Stuttgart an einem beliebigen Sommertag. Menschen, Läden, Häuser, Menschen und noch ein paar Menschen. Jede Größe, Alter, Hautfarbe ist vertreten. Die einen haben es eilig. Die anderen Zeit. Manche laufen, andere stehen. Auch in Gruppen beisamen. Oder sitzen. Wir werden wohl einen dieser Utopianer ansprechen müssen, um heraus zu bekommen, was ihn denn von uns unterscheidet.

Seine Freundlichkeit und Offenheit mit der er uns antwortet? Könnte Zufall sein. Wir laden ihn zu einem Kaffee ein, bieten ihm eine Zigarette an. "Wo haben sie die denn her? Sowas wird doch gar nicht mehr hergestellt." Interessiert erkundigen wir uns, ob das Rauchen denn verboten wurde. "Warum verboten? Ist doch jedem klar, dass es nur der Gesundheit schadet, aber nichts bringt. Wozu Dinge verbieten, die vernünftige Menschen eh nicht kaufen?" Das leuchtet ein. Aber nun zu den großen, den interessanten Fragen. Politik, Wirtschaft, Religion.

"Ich war selbst vor 3 Jahren im Bundestag. Eine große Ehre. " Politiker also? "Nein, Politiker gibt es schon lange nicht mehr. Wo Leben sie denn? Jeder Landkreis schickt alle 2 Jahre einen Vertreter in den Bundestag. Die Bürger dort werden verschiedenen Ausschüssen zugeteilt, in denen sie von Experten beraten werden. Wenn die Ausschüsse ein Ergebnis haben präsentieren sie das ausführlich im Bundestag, und der entscheidet dann." Aha, dann sind Parteien, Lobbyisten und Berufspolitiker wohl Schnee von gestern. Aber fehlt da nicht das Know How einen so großen Staat zu lenken? "Das Know How bringen die Experten mit, sie stellen die Situation, die Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile dar, für den Rest reicht dann der gesunde Menschenverstand und der Blick auf das wohl des Volkes." Der Glaube an neutrale Experten und altruisitisch motivierte Abgeordnete fällt uns schwer, aber scheinbar scheint es ja zu funktionieren.

Gibt es da dann aber nicht Konflikte wenn verschiedene Lager aufeinander Treffen im Bundestag, zB Arbeitslose und Unternehmer? Das muss ja eigentlich so sein ...
"Arbeitslose? Es gibt doch genug Arbeit für alle. Und warum sollen Unternehmer ein anderes Lager sein? Das klingt ja fast nach finsterem Kapitalismus in seiner alten Form. Wer käme denn wirklich auf die Idee, sich auf Kosten anderer zu bereichern? Alle Arbeiten zusammen am Erfolg einer Firma. Da hat schließlich jeder was davon. Und das die Leute mit mehr Verantwortung dafür auch besser entlohnt werden ist ja klar. Dafür kümmern sie sich auch um ihre Mitarbeiter." Kann es einer Firma aber nicht auch mal schlecht gehen? "Klar passiert das. Dafür bilden sie ja Rücklagen. Dann gibts halt mal ein Jahr weniger Gewinn." Auch in diesem Fall zweifeln wir wieder ein bisschen am Altruismus der Unternehmer. Eine Firma in der die Mitarbeiter nicht nur ein Produktionsfaktor sind? Und dieses Verbreitete Denken ans Gemeinwohl? Das kennen wir nur von Ameisen oder ähnlichen Kolonie, bzw Herdentieren.

Mit der Frage nach Religion haben wir dann offenbar auch sein Lieblingsthema erwischt. Seine Augen beginnen zu leuchten, während uns eine freundlich lächelnde Kellnerin Kaffee und Wasser nachschenkt. "Das ist ein Hobbie von mir. Gerade der alte Katholizismus ist hochinteressant. Damals glaubten echt alle genau ihr Gott sei der einzig wahre. Witzig, nicht? Weniger witzig ist allerdings, was aus diesem Glauben alles entstanden ist. Jahrhundertelange Konflikte. Kriege. Alles wegen so einer unsinnigen Frage. Klar gab es auch friedliche Religionen. Aber die, die es nicht wahren, haben schon recht viel Unheil angerichtet. Ich werde nie die Tränen in den Augen des Papstes vergessen, als er die Erklärung von Rom verlaß. Auch die Vertreter von Islam und Judentum hatten feuchte Augen. Eine Woche trauerten alle Gläubigen um die Opfer der Religionskonflikte. Inzwischen sind, nach einer langen Phase in der Atheismus "In" war, wieder viele auf der Suche nach etwas Höherem. Je mehr uns die Wissenschaft klar machte, dass wir vieles nie werden wirklich erklären können, was die Entstehung unserers Universums angeht, desto eher tendieren die Menschen dazu, einen höheren "Geist" zu verehren, die unendliche Kraft der Schöpfung. Sie gibt dem ganzen einen Rahmen in dem sich die Menschen wohl fühlen, ohne dabei irgendwelche Ansprüche oder Regeln aufzustellen. Es existieren einige wunderschöne Tempel, Gebäude in denen versucht wurde, die unendliche Weite, Perfektion und Schönheit des Universums einzufangen. Orte der Ruhe und Besinnung. Und da alle anderen Religionen ihren Allgemeingültigkeitsanspruch abgelegt haben, entwickeln sie sich eh immer weiter in eine gemeinsame Richtung.

Soviel Verständnis und Tolleranz ist fast zu viel für uns. Das alle Menschen so sein sollen undenkbar. Aber uns gegenüber sitzt dieser glücklich lächelnde Mensch, geduldig und freundlich, ohne Grund uns anzulügen. Hat denn diese Welt überhaupt keine Probleme? "Seitdem alle Entwicklungsprojekte für die frühere dritte Welt abgeschlossen wurden und die Forscher die Probleme von Aids und Tumorkrankheiten in den Griff bekommen haben eigentlich nicht mehr. Zumindest keine großen, globalen Probleme. Die Staatengemeinschaft arbeitet an ihren Projekten zur Erforschung des Weltraums. Die Regenwälder haben eine Ausdehnung erreicht wie zuletzt im 17. Jahrhundert. Die Einhaltung von Fangquoten und der Verzicht auf große Treib- und Schleppnetze hat die Meere gerettet. Fusionsenergie hat die fossilen Brennstoffe ersetzt, die aufblühenden Wälder und Meere regulieren das Klima. Riesige digitale Bibliotheken erlauben den Zugriff auf das gesamelte Wissen der Menschheit. Und der Gedanke eines jeden an das Wohl aller Menschen schützt und pflegt dies alles."

Ungläubig staunend bedanken wir uns für das ausführliche Gespräch. Er wünscht uns noch eine gute Zeit und besteht darauf, unseren Kaffee mit zu bezahlen. "Selten hat man die Möglichkeit, über die Vergangenheit und Gegenwart so ausführlich zu reflektieren. Da lernt man die Welt, in der man lebt von neuem zu schätzen. Ein Kaffee ist dafür ein kleiner Preis." Mit einem Zwinkern verabschiedet er sich. Und in unserem Geist macht sich ein seltsames Geräusch breit. Erst nur ganz leise. Es mag gar nicht in die Harmonie passen. Zu aufdringlich. Und langsam auch zu laut. Wir spüren, wie etwas an uns zerrt, hart und unerbittlich. Die schöne Welt, das Utopia, löst sich langsam auf in Schwarz. Dann sind die frische Luft und das angenehme Gefühl verschwunden. Wir atmen etwas stickiges, unreines, riechendes. Fühlen uns bedrückt. Eine andere Welt öffnet sich vor unseren Augen. Ein S-Bahn Wagen. Zu voll. Der Typ gegenüber hat wohl Probleme mit seinem Gehör und seinem Musikgeschmack. Die Firma neben uns schaut missmutig ins Nichts. Die Leute wirken gehetzt, angespannt, nur wenige locker und fröhlich. Ein Rucksack streift uns, als sich ein Jugendlicher durch den Gang drängelt. Die Zeitung, auf die wir schräg gegenüber einen Blick erhaschen verkündet neue Anschläge, Konflikte, Klimaveränderungen, Gefahren. Utopia verblasst während wir weiter unserem Leben nachgehen.

Ein Traum? Ein Wunsch? Eine Zukunft? Oder gar nicht so weit entfernt, nur hinter einer ziemlich hohen Mauer? Eines ist sicher: Die Zeit wird es nur zeigen, wenn wir etwas dafür tun.

4/04/2007

Komasaufen und der Verfall der Jugend

Zur Zeit eines des Lieblingsthemen der deutschen Medien: Komasaufen bei Jugendlichen. Trinken bis zur Bewustlosigkeit. Erst kürzlich starb ein 16 jähriger nach über 50 Tequilla, jetzt musste eine 14 jährige vom Notarzt künstlich beatmet werden, nachdem sie in einem Park zusammen gebrochen war.
Und sofort ging der erste Aufschrei durch die deutsche Politikwelt. Alkohol ab 18 lautete die Panikreaktion. Natürlich völliger Blödsinn, denn schon nach aktueller Gesetzlage hätte keiner der beiden den Alkohol bekommen dürfen, mit dem sie sich betrunken haben. Vor allem Wirte sind hier in der Pflicht, keinen harten Alkohol an Jugendliche auszuschenken, aber auch im Einzelhandel sieht man immer wieder "Kinder", die mit Hochprotzentigem den Laden verlassen. Und nicht jeder hat immer den großen Bruder zur Hand, leider fehlt hier die letzte Konsequenz, mal will ja schließlich nicht auf Umsatz verzichten.

Doch sind diese Alkohol Eskapaden wirklich ein neues Phänomen? Wenn bei unseren Familienfeiern lustige Schwänke aus der Jugend erzählt werden klingt das nicht so viel anders wie bei uns heute. Auch da wurde schon kräftig gebechert, jeder Trick genutzt, um ans begehrte Nass zu kommen und der ein oder andere Absturz produziert.
Die meisten wissen wohl auch aus leidvoller Erfahrung, wie schnell sowas gehen kann. Der Alkohol ist da, die Stimmung ist gut, man unterhält sich und trinkt nebenher, steht vielleicht eine Weile nicht auf, und dann auf einmal: "Zack und Weg". Das ist ein alter Hut und passiert selbst Leuten, die ihre Grenzen eigentlich kennen und recht vernünftig sind.
Auch die Trinkspielchen sind keine neue Erfindung. Gruppenzwang, jemand etwas beweisen wollen, das alles gab es schon immer. Also warum soll das auf einmal so ein großes Problem der heutigen Jugend sein?

Neu ist meiner Ansicht nach das bewusste Komasaufen, Kamikaze trinken mit der festen Absicht, sich abzuschießen. Das fügt sich ganz gut ins Bild einer Jugend ein, die öfter den Kick sucht und für riskantere Aktionen zu haben ist. Solch geplanten Aktionen wird man aber mit Gesetzen und Verboten nur schwer begegnen können, da findet sich immer ein Weg, sich den "Stoff" zu besorgen.

Doch wie passt das jetzt in das Bild einer verfallenden Jugend? Lehrer beschweren sich über mangelnde Motivation und Umgangsformen, bei Azubis setzt sich das fort. Vermisst wird vor allem die Einstellung, die Deutschland dahin gebracht hat, wo es heute ist, der Arbeits- und Pioniergeist aus dem viele, heute sehr erfolgreiche, Familienunternehmen enstanden sind. Etwas erreichen wollen und hart dafür arbeiten scheint kein angesehener Wert mehr zu sein. Sicherlich nicht bei allen Jugendlichen. Aber wohl doch bei einer so großen Zahl, dass es auffällt. Auflösung der Familie, mehr Arbeitstätige Eltern, sich selbst überlassene Jugendliche, dies alles trägt wohl seinen Teil dazu bei.
Dies alles zu verteufeln wäre voreilig, Gesellschaften entwickeln sich weiter, unser Leben ist anders als vor 30 Jahren, unser Wissen, unsere Vorstellungen, dass sich damit auch Werte und Ziele ändern ist wohl nur natürlich. Vernünftige Antworten auf das wie und warum überlasse ich studierten, hochgelehrten Experten.

Aber selbst ich, obwohl nur ein paar Jährchen aus dem jugendlichen Alter raus, finde die Tendenzen zum Teil erschreckend. Jenseits von "früher war alles besser" Polemik sind da doch Dinge dabei, die, bei aller Liebe zu Entwicklung und Fortschritt, einfach schlechter sind. Nicht alles von früher ist alt und überholt, manche Werte wie Freundlichkeit, Höflichkeit und eine gewisse Arbeitsethik sind heute aktueller den je, und können halt bieten in einer Gesellschaft, die von Hektik und konkurrierndem Informationswirrwarr geprägt ist.